Neulich hatte ich wieder einmal Begegnungen mit Menschen, die wie so Viele unbewusst durch’s Leben geht – ohne innezuhalten oder sich selbst zu reflektieren. Nicht zu wissen, warum man ist, wie man ist und auf welcher unterbewussten Grundlage man Entscheidungen trifft.
Solche Momente erscheinen mir immer befremdlich, aber in einer Leistungs- und Wettbewerbsgesellschaft, in der es nur um „höher, schneller, weiter, schöner“ geht, sollte mich dieser Umstand eigentlich nicht wundern. Ich habe also ein bisschen genauer hingesehen, welche Aspekte ich beobachte und gebe euch am Ende des Blogartikels als Impuls ein paar Fragen mit auf den Weg.
Mein Zugang zum Thema
Sicherlich hat es mit meinem Studium (Sozialpädagogik) zu tun, da Praxisreflexion und Selbstreflexion ein integraler Bestandteil waren. Jedoch ist meines Erachtens der ausschlaggebende Punkt, dass ich mich seit 2018 mich intensiv mit Persönlichkeitsentwicklung beschäftige. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie, mit Mustern, Prägungen und inneren Anteilen und wie dies miteinander in Zusammenhang steht.
Ich bin stets an Menschen und ihren Geschichten interessiert, weil ich der Meinung bin, dass wir alle voneinander lernen können – unabhängig von sozioökonomischen, familiären oder kulturellen Hintergründen. Ich möchte von ihnen lernen und ich denke, dass ich deswegen manchmal enttäuscht bin, wenn ich auf Menschen treffe, mit denen ich eben nicht über diese Dinge sprechen kann.
Immer in Bewegung sein – und zwar wortwörtlich
Ich beobachte immer wieder, dass viele Menschen sich nicht oder nur sehr oberflächlich mit sich selbst beschäftigen. Stattdessen suchen sie die Ablenkung: täglicher Sport, ständige Treffen mit Freunden, straffe Freizeitpläne. Alleinsein wird vermieden – aus Angst vor den eigenen Gedanken.
Manchmal frage ich mich: Liegt es nur an der Angst vor der Konfrontation mit sich selbst – oder auch daran, dass viele gar nicht wissen, wer sie wirklich sind? Dass kein echtes Interesse an sich selbst vorhanden ist, weil der Zugang zur eigenen Innenwelt fehlt?
Der Blick zu Social Media
Vor Kurzem habe ich das Buch „Zero. Sie wissen, was du tust“ von Marc Elsberg gelesen. In dem Thriller (Vorsicht spoiler!) geht es um eine social scoring app, die Tipps gibt, wie man sich verhalten sollte, um seinen sozialen Status zu steigern. Fiktion? Vielleicht. Aber ist das nicht verdammt nah an TikTok & Co dran? Millionen von Nutzer*innen richten permanent ihren Blick auf social media, bewerten, werden bewertet und suchen Bestätigung von ihnen meist vollkommen fremden Menschen.
Dazu kamen mir zwei Gedanken:
- Wenn ich von einer App fremdbestimmt bin, wie ich auszusehen und zu leben habe, wozu sollte ich mich dann noch selbst reflektieren? Wenn mir gesagt wird, was ich im Leben wollen sollte oder wer ich bin, das macht es verdammt einfach, oder? eigentlich will?
- Durch Social Media ist Gruppenzwang nicht mehr nur auf den direkten Freundeskreis beschränkt – er ist global, visuell und algorithmisch gesteuert. Likes und Follower sind längst zur Währung sozialen Status’ geworden. Wer bspw. schön genug ist, wird gesehen. Und wann siehst du dich selbst? Wann richtest du den Blick auf dich anstatt nur darauf zu schauen, wie dich deine Freund*innen sehen? Und verhältst dich dann so, wie du glaubst, sein zu müssen, damit du deine Freund*innen nicht verlierst?
People-Pleasing und der Verlust von Authentizität
Ein weiteres Phänomen, das mir im Alltag immer wieder begegnet ist People-Pleasing. Der Drang, es allen recht machen zu wollen und gemocht zu werden. Dahinter steckt oft die Angst vor Ablehnung oder dem Gefühl, nicht genug zu sein (Stichwort mangelndes Selbstwertgefühl). Eine Nebenerscheinung eines niedrigen Selbstwerts ist übrigens lästern und Neid, aber es würde an dieser Stelle zu weit führen, darauf einzugehen.
Die Folge? Es wird alles „für die anderen“ getan, obwohl es (Achtung, das ist nun nicht schön für alle people-pleaser zu lesen) nur um sie selbst und die Steigerung ihres eigenen Selbstwerts geht und um Menschen an sich zu binden.
Das Tragische daran ist: Je mehr wir unseren Blick nach außen richten und gefallen wollen, desto mehr verlieren wir den Kontakt zu unserem wahren Selbst. Authentizität wird ersetzt durch gefallen-wollen.
Auf Dauer leben wir so gegen unsere eigene Wahrheit und tauschen Authentizität gegen eine Illusion ein.
Wenn du dich dabei ertappst, dass du versuchst, es allen recht zu machen, dann frage dich: Warum tue ich, was ich tue? Für wen mache ich das wirklich? Und was wäre, wenn ich aufhöre, mich zu verbiegen, um andere zufriedenzustellen?
Doch das Leben lässt uns nicht in Ruhe
Man kann unbearbeitete Themen eine Zeit lang verdrängen, ignorieren und wegschieben.
Die schlechte Nachricht: Unbearbeitete Themen verschwinden nicht. Sie zeigen sich – und zwar immer wieder. Wir werden immer wieder genau jene Menschen treffen und Situationen erleben, die uns unsere ungelösten Themen spiegeln. Und wenn wir das ignorieren, klopft das Leben lauter an und manifestiert sich irgendwann im Körper.
Unbewusstsein macht krank – im wahrsten Sinne
Wenn wir uns nicht mit unseren inneren Themen, Prägungen und Glaubenssätzen beschäftigen, beginnen sie, uns zu steuern. Sie beeinflussen nicht nur, wie wir uns fühlen oder verhalten – sie bestimmen auch unsere Entscheidungen, Beziehungen und sogar unsere körperliche Gesundheit.
Der kanadische Arzt und Traumaforscher Gabor Maté bringt es in seinem Buch „Vom Mythos des Normalen“ auf den Punkt:
„Alles, was in der ersten Lebenshälfte nicht verarbeitet wurde, tritt als Krankheit in der zweiten Lebenshälfte auf.“
Auch Louise Hay vertrat die Überzeugung, dass jedes körperliche Symptom eine seelische Ursache hat. In ihrem Buch „Gesundheit für Körper und Seele“ zeigt sie, wie Körper, Geist und Seele untrennbar miteinander verbunden sind – und doch neigen wir in unserer westlichen Welt immer noch dazu, sie getrennt zu betrachten.
Ein erster Schritt zur Prävention für Krankheiten, kann also Selbstreflexion sein.
Begib dich auf den Weg – Reflexionsfragen
Bist du neugierig geworden oder möchtest auf deinem Weg zu dir selbst ein bisschen tiefer gehen? Dann habe ich folgende Reflexionsfragen für dich:
- Wer in meinem Leben hat mich am meisten beeinflusst? Wie?
- Wie kam es zu meiner Berufswahl?
- Was sind meine Glaubenssätze? (Was sind Glaubenssätze? Lies meinen Blogartikel dazu hier)
- Welche Verhaltens- und Denkmuster habe ich von meinen Eltern übernommen?
- Wer oder was inspiriert mich?
- Was habe ich als Kind gerne gemacht?
- Welche Themen interessieren bzw. beschäftigen mich?
- Was würde ich gerne lernen?
- Wenn ich keine Verpflichtungen hätte und keine Erwartungen erfüllen müsste, was würde ich dann tun?
- In welche Rolle schlüpfe ich nach dem Aufwachen? (bspw. Mutter, Arbeitnehmer…)
- Welche Geschichte erzähle ich mir Tag für Tag, wer und wie ich bin? (mein Narrativ, ich bin mein*e Geschichtenerzähler*in)
- Wenn ich unendlich viel Zeit und Geld hätte, was würde ich tun?
- Wenn ich nur noch einen Monat zu leben hätte, was würde ich tun?
Buchempfehlung und Fragen aus meinem Buch „Reisen mit Schildkröte“
Was bedeutet es, anzukommen? Wer bin ich unter all den (gesellschaftlichen) Mänteln? Darf ich mein Leben so leben, wie ich will?
Fragen aus John Streleckys „Das Café am Rande der Welt“
Warum bist du hier? Hast du Angst vor dem Tod? Führst du ein erfülltes Leben?